Experte Dirk Stans über das Schließen von Lücken in der PCB-Fertigung

Judy Warner
|  Erstellt: January 8, 2018  |  Aktualisiert am: November 12, 2020

euro circuits

 

Judy Warner: Dirk, bitte geben Sie uns zunächst  einen kurzen Überblick über Ihre Laufbahn und Ihren Werdegang in der Elektronikindustrie.

Dirk Stans: Als Elektronikingenieur begann ich meine Karriere bei der Firma DISC, die dann zu Barco Graphics wurde, nur ein Jahr nachdem ich der Firma beitrat. Vom ersten Tag an war ich im Vertrieb von computergestützten Fertigungssystemen (CAM) für die PCB-Industrie in Europa tätig. Dabei gewann ich ein Verständnis für die Entwicklung der europäischen und globalen PCB-Industrie ab 1989. Europa produzierte über 40 % der PCBs weltweit, und die dortigen Unternehmen verdienten selbst dann noch gutes Geld, als sie sich auf große bis mittlere Stückzahlen konzentrierten. Es gab aber noch einen weiteren, unerschlossenen Markt, auf dem Ingenieure ihre Prototypen nur schwer herstellen lassen konnten. Die ersten großen europäischen Elektronik-OEMs gründeten Tochterfirmen im Fernen Osten und in China, und schnell zogen andere nach. Ein Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands wurden weitere osteuropäische Länder von der Sowjetunion befreit. Die Märkte waren in Bewegung geraten und Europa stand an einem Wendepunkt, wodurch es die Elektronik-Ingenieure nicht gerade leicht hatten. Im Chaos ergeben sich aber oft Möglichkeiten, und so kündigten mein Schulfreund und jetziger Geschäftspartner, Luc Smets, und ich unsere Jobs und vermittelten kleine PCB-Bestellungen, die in Osteuropa gefertigt und an verzweifelte Ingenieure verkauft wurden, die einfach nur auf jemanden warteten, der sie wie gute Kunden behandelt. So entstand unser Alleinstellungsmerkmal: PCB-Prototypen und Kleinstserien für Ingenieure in der Elektronikentwicklung. Kurz nachdem wir in das Geschäft, Leiterplatten zu vermitteln, eingestiegen waren, hatten wir die Gelegenheit, unseren größten Zulieferer aufzukaufen: eine ungarische PCB-Firma in staatlicher Hand. Ab dem 1. Mai 1993 waren wir ein ungarischer PCB-Hersteller mit Hauptsitz in Belgien. Fortan reinvestierten wir alle Gewinne in unser Unternehmen, so wie wir es auch heute noch tun. Dadurch wuchs unsere Belegschaft auf ungefähr 400 Mitarbeiter, die an Firmenstandorten in Belgien, Ungarn, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, der Schweiz und Indien arbeiten. 2017 brachte uns Aufträge von etwa 12.000 europäischen Kunden, das entspricht mehr als 20.000 Anwendern mit weit über 107.000 Bestellungen. Heute läuft unser Geschäft zu 100 % online ab und bietet einen der größten Leistungsumfänge für PCBs mit Standardtechnologie.

 

Dirk at Euro Circuits

 

Warner: Wenn man von dem politischen und wirtschaftlichen Klima dieser Zeit absieht, was inspirierte Sie, das einzigartige Geschäftsmodell von Eurocircuits aufzubauen und in das Online-Geschäft einzusteigen?

Stans: Seit 1994 suchten wir nach Möglichkeiten, die Herstellungskosten und somit auch die Preise für PCB-Prototypen und Kleinstserien zu senken. Wir erkannten sofort, dass die Standardisierung des Technologieangebots und die Möglichkeit, mehrere Bestellungen in einem Produktionsfeld zusammenzuführen, den Schlüssel zur Kostenreduzierung für Prototypen und Kleinstserien darstellte. Noch im selben Jahr stellten wir dem Markt unser erstes Angebot mit standardisierter Technologie vor. Da viele Kunden aus der auf Volumen ausgelegten Entwicklung kamen, war Standardisierung nicht ihr erster Gedanke, und die Zusammenführung von Bestellungen war noch nicht als Strategie bekannt. Wir brauchten noch viele weitere standardisierte Angebote und die Einführung des Internets und des Web-Vertriebs, um unsere Denkweise und Strategie komplett umzustellen. 1999 entwickelten wir einen neuen Geschäftsbereich: Eurocircuits. Ein vollständig online ablaufender Geschäftsablauf für PCB-Prototypen. Online bekamen wir ein neues Profil und verfügten über eine Plattform, auf der man nicht verhandeln und Sonderangebote herausschlagen konnte. Deshalb begannen die Kunden, die Vorteile der Standardisierung und Auftragszusammenführung zu erkennen. Eurocircuits hob ab und seitdem haben wir unser gesamtes Geld in die Entwicklung der Online-Verkaufsplattform und die Erweiterung unseres Servicepalette gesteckt. Alle Investitionen in die Fabriken dienten diesem Modell und machten uns zu den Besten in unserem Bereich: PCB-Prototypen und Kleinstserien.
 


Über die Jahre habe ich einiges über unser Marketing-Modell, die Geschichte der Auftragszusammenführung, etc. geschrieben. Diese finden Sie hier.

Warner: Sie haben also wirklich ein neues Geschäftsmodell erschaffen, das seitdem vielfach übernommen wurde – Glückwunsch! Ich frage mich, welche DFM-Probleme sich in diesem schnelllebigen Modell mit wenigen Berührungspunkten ergeben und was Designer tun können, um diese zu vermeiden? Was tut Eurocircuits außerdem, um wiederkehrende DFM-Probleme abzumildern?

Stans: Der optimale Designablauf für Leiterplatten fordert vom Ingenieur ein Bewusstsein dafür, was in der heutigen Industrieelektronik auf Seiten des Herstellers möglich ist und welche Industrienormen klar und einfach auf der ganzen Welt akzeptiert sind, um so die kosteneffizienteste und zuverlässigste Leiterplattenfertigung zu ermöglichen. Wenn man schon beim Layout mit diesem Wissen arbeitet und die DRC-Regeln der CAD-Software nutzt, vermeidet man DFM-Katastrophen.

Gleichwohl gibt es natürlich immer noch Probleme. Im Folgenden habe ich die größten DFM-Probleme aufgeführt, mit denen wir zu kämpfen haben:

– Daten, die vom CAD an die CAM übertragen werden, sind oft unvollständig, unverständlich, fehlerhaft etc.
– Umrissdateien sind sehr oft falsch oder unverständlich
– Die internen Fräsvorgänge sind oft sehr missverständlich
– Die Beschränkungen für Lötaugen werden nicht eingehalten
– Oft ist nicht klar, ob ein Loch plattiert ist

Als Antwort auf diese Probleme hat Eurocircuits den PCB Visualizer entwickelt, ein kostenloses, automatisiertes Visualisierungs-Tool zum Betrachten, Analysieren und Korrigieren von Gerber-Daten der Kunden. So können die Designs gemäß den Standard-Designkriterien hergestellt werden. Alle oben genannten Probleme werden sofort markiert, und die Werkzeuge zur Korrektur der entdeckten Probleme werden bereitgestellt, bevor Sie auch nur einen einzigen Cent ausgeben.

Warner: Bevor Sie den PCB Visualizer anboten, wieviel Zeitverlust resultierte durchschnittlich aus der Notwendigkeit, DFM-Probleme zu lösen, und welche Auswirkungen haben Sie seit der Einführung dieses Werkzeugs bemerkt?

Stans: Bevor wir den PCB-Visualizer hatten, wurden etwa 30 % der Bestellungen vor der Produktion gestoppt, weil es eines oder mehrere Probleme, Fehler oder Missverständnisse bei den Daten gab. Nachdem die Kunden den PCB Visualizer seit fünf Jahren nutzen, ist die Rate von Daten-Anomalien unter 3 % gesunken. Wenn man bedenkt, dass wir täglich über 400 Aufträge erhalten, müssen wir nicht mehr 120, sondern nur noch 12 Kunden kontaktieren. Das ist für uns einfach zu bewältigen, und so können wir uns auf die Qualität dieser Interaktionen konzentrieren. Außerdem werden unnötige Verzögerungen vermieden. Das ist wirklich eine Win-Win-Situation für unsere Kunden und uns.

Warner: Nun zu einer heiklen Frage: Was sollten Ihrer Ansicht nach alle Designer über die Leiterplattenherstellung wissen?

Stans: Alles! [lacht] Das war nur ein Witz, Judy, das wird es nie geben, aber ein wirklicher Fortschritt wäre es schon, wenn alle Designer verstehen könnten, dass ein Layout, das man konzipieren kann, nicht zwangsläufig herstellbar ist. PCB-Hersteller sind an die physikalischen Grenzen der echten Welt gebunden. Je mehr man sich diesen Grenzen nähert, umso mehr weicht man vom Standard ab. Daneben wäre ich schon sehr glücklich, wenn Designer die optimalen Entwurfsabläufe befolgen und sich über moderne Herstellungsverfahren informieren würden, bevor sie eine Leiterplatte entwerfen.

Warner: Wo wir gerade von physikalischen Grenzen und der Weiterführung der Innovation in der Herstellung reden: Wo wird die Leiterplattenherstellung Ihrer Meinung nach in 10 Jahren stehen?

Stans: Ich denke, dass wir in der PCB-Produktion alle zu 100 % auf Direct Exposure umsteigen werden und dass die Anzahl der mehrlagigen Leiterplatten weiter zunehmen wird. Die große Revolution der Elektronik-Miniaturisierung fand  in den ersten 10 Jahren des neuen Jahrtausends statt. In der Industrieelektronik ist das inzwischen gewiss kein echtes Problem mehr. Allerdings werden wir uns damit befassen müssen, dass jede Anwendung an das Internet (IoT) angeschlossen wird und sich daher der Bedarf an günstigen Hochgeschwindigkeits-Datenschnittstellen verstärken wird. Das stellt Herstellung und Design vor die Herausforderung, standardisierte Lösungen zu optimalen Kosten zu finden.

 

circuit board

 

Warner: Dirk, Sie haben in München auf der AltiumLive 2017 eine Präsentation gehalten. Bevor wir abschließen, würden Sie uns noch kurz eine Zusammenfassung Ihres Vortrags geben und erklären, warum Sie sich für dieses Thema entschieden?

Stans: Seit Beginn des PCB Visualizers und unserer intelligenten Menüs im Jahr 2012 habe ich mich auf ein Thema konzentriert. Die Industrie hatte schon immer Schwierigkeiten mit der Vermittlung zwischen CAD und CAM und der Übertragung von Daten zwischen beiden Bereichen. Wir nennen das den optimalen PCB-Designablauf. Die Grundidee ist nicht neu und vor 25 Jahren haben wir das alle getan. Leute, die PCBs entworfen und deren Layouts angelegt haben, waren Spezialisten mit umfassendem Wissen über die PCB-Herstellung. Sie hatten gute Beziehungen zu einem oder mehreren Herstellern, von denen es in Europa noch viele gab und die auch einfach zugänglich waren. Auf der CAD-Seite informierte man sich stets über Neuerungen in der Herstellung. Was man nicht kannte oder wusste, erfragte man, bevor man mit der Arbeit am Layout anfing.

Mit den Jahren ist der Anteil Europas an der weltweiten PCB-Herstellung von 40 % auf 5 % gefallen. PCB-Designer waren vom Aussterben bedroht, und die Kluft zwischen CAD und CAM wurde extrem breit. Designer müssen sich heute wieder über Neuerungen in den verfügbaren Herstellungsprozessen imformieren, bevor sie mit dem Design beginnen. Sie müssen verstehen, dass ihnen die Verwendung von Standards hilft, ein besser produzierbares Layout zu entwickeln und die Kosten niedrig zu halten. Informieren, dann das Layout entwickeln, prüfen und korrigieren, und erst nach diesen Schritten den Auftrag erteilen. Das bringt uns zu Produktionen, die auf Anhieb richtig sind und wieder eine Win-Win-Situation für Designer und Hersteller bieten. Wir haben eine große Anzahl an Werkzeugen zur Unterstützung dieser Vorgehensweise entwickelt. Dieselbe Philosophie wie vor 25 Jahren kann wieder eingeführt werden, indem wir Designern kostenlose Online-Werkzeuge bereitstellen und es ihnen so ermöglichen, den Herstellungsprozess wirklich zu verstehen. Dadurch wird es möglich werden, dass Produktionen gleich beim ersten Mal korrekt sind – das ist unser Traum.

Kürzlich haben wir begonnen, diese Philosophie auch auf bestückte Leiterplatten anzuwenden. Wir sind der Meinung, dass es uns mit dieser Methode möglich sein  wird, den Markt für Prototypenbestückungs-Services zu eröffnen, die aktuell kaum angeboten werden. Schließlich ist die Bereinigung der Kundendaten mit hohen Kosten verbunden.

Es reicht nicht, Märkte zu öffnen, man muss auch tun, was man predigt, und Werkzeuge entwickeln, die allen Beteiligten eine erfolgreiche Arbeit ermöglichen.

Warner: Ein wirklich vernünftiger und zeitloser Rat, Dirk. Vielen Dank, dass Sie Ihre Sichtweise und Erfahrungen mit uns geteilt haben.

Stans: Ich danke Ihnen, Judy, für die Gelegenheit dazu!


HINWEIS: Die EIPC ist eine Organisation und eine Ressource, die PCB-Designern dabei helfen kann, sich über die aktuellen optimalen Vorgehensweisen in der Herstellung zu informieren. Sie können HIER ihre Website besuchen. Außerdem finden Sie HIER Informationen über Jahreskonferenz der Organisation, die in Lyon, Frankreich, stattfindet.



 

Über den Autor / über die Autorin

Über den Autor / über die Autorin

Judy Warner ist seit über 25 Jahren in einer einzigartigen Vielfalt von Rollen in der Elektronikindustrie tätig. Sie verfügt über einen Hintergrund in der Leiterplattenherstellung, Hochfrequenz- und Mikrowellen-Leiterplatten, sowie in der Auftragsfertigung mit Schwerpunkt auf Militär-, Luft- & Raumfahrt-Anwendungen.

Darüber hinaus war sie als Autorin, Bloggerin und Journalistin für verschiedene Branchenpublikationen wie Microwave Journal, PCB007 Magazine, PCB Design007, PCD&F und IEEE Microwave Magazine tätig und ist ein aktives Vorstandsmitglied der PCEA (Printed Circuit Engineering Association). Im Jahr 2017 kam Warner als Director of Community Engagement zu Altium. Neben der Veranstaltung des OnTrack-Podcasts und der Erstellung des OnTrack-Newsletters rief sie die jährliche Altium-Anwenderkonferenz AltiumLive ins Leben. Warners Leidenschaft ist es, Ressourcen, Unterstützung und Fürsprecher für PCB Design Engineers weltweit bereitzustellen.

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