Durchdachtes, systembasiertes Elektronikdesign

Judy Warner
|  Erstellt: July 29, 2021  |  Aktualisiert am: August 2, 2021
Hands around a tower of jenga blocks

Vor kurzem trafen wir Dr. Ed Becze, den Mitbegründer und geschäftsführenden Gesellschafter von Pegmatis. Ed hat in seiner langen und illustren Karriere an hochkomplexen Systemdesigns gearbeitet und war dabei für eine Vielzahl von Akteuren tätig, vonvon großen, branchenführenden Technologieunternehmen bis hin zu kleinen Startups. Im Laufe der Jahre hat er ein äußerst kompetentes, funktionsübergreifendes Ingenieurteam aufgebaut, das jeden Aspekt des End-to-End-Produktdesigns abdeckt. In diesem Interview spricht er über die kritischen Aspekte eines gut durchdachten Designs und die Schlüsselfaktoren, die Ihnen zum Erfolg verhelfen werden.

Judy Warner: 
Ed, als erstes möchte ich Sie fragen: Was hat es mit dem Namen Pegmatis auf sich und welche Arten von Dienstleistungen bieten Sie an?

Ed Becze: 
Pegmatis leitet sich von "Pegmata" ab, was im Lateinischen "Gerüst" bedeutet. Wir sind ein sehr erfahrenes F&E-Unternehmen mit End-to-End-Produktentwicklung, d. h. wir bieten alles unter einem Dach an.  Wir verfügen über Experten in den Bereichen Mechanik, Elektronik, HF, Firmware, Software, Systemebenentests und Validierung - im Grunde also alle notwendigen technischen Disziplinen, die für die Entwicklung anspruchsvoller und hochkomplexer Produkte erforderlich sind. 

Unsere Kunden sehen uns als "Partner" für die technische Entwicklung und nicht nur als "Ingenieurdienstleister", denn wir bieten ihnen viel mehr als nur Ingenieurdienstleistungen. Insbesondere helfen wir ihnen, ihr Geschäft auf Produktlösungen auszurichten, und unterstützen sie dabei, Innovationen zu entwickeln und IP zu generieren, um ihre Position auf dem Markt zu festigen.  Wir können unseren Kunden diese Art von Dienstleitung anbieten, weil wir über umfangreiche Erfahrungen in der Bereitstellung einer breiten Palette von Produkten verfügen.  Darüber hinaus können wir sowohl eine gezielte Unterstützung bieten, um eine technische Lücke zu schließen, als auch die Verantwortung für das gesamte Produktdesign und die Entwicklung übernehmen.

Warner:
Was ist Ihrer Meinung nach die Grundlage für einen guten Produktentwicklungsprozess?

Becze: 
Beginnen Sie mit Anforderungen auf Systemebene - Leistung, Funktion, Vorschriften, Volumen, Zeitplan usw. All diese Dinge müssen den Geschäftsanforderungen entsprechen und dabei ein Problem angehen oder eine neue Lösung auf den Markt bringen.  Unterschätzen Sie nicht  die Bedeutung der Anforderungen! 

Bei der Entwicklung von Anforderungen muss man immer im Hinterkopf behalten, ob der Kunde für eine Funktion bezahlen möchte, und man sollte sich bei der Bestimmung der Anforderungen auf Daten stützen. Setzen Sie Anforderungen niemals dogmatisch um, ohne fundierte Begründungen dafür zu haben.

Folgende Dinge sollten Sie bereits lange vor Beginn des Designs einer Leiterplatte berücksichtigen:

  • Bei der Entwicklung einer Strategie sollten Sie technische und terminliche Risiken einbeziehen.
  • Stellen Sie einen durchdachten Entwicklungsplan zusammen und minimieren Sie die Risiken frühzeitig.
  • Setzen Sie sich am Anfang des Projekts mit Anbietern und Lieferanten in Verbindung, um mehr über Teile, Verfügbarkeit und Fähigkeiten der Anbieter zu erfahren und sicherzustellen, dass diese mit Ihrer Produkt- und Produktions-Roadmap vereinbar sind.

Warner: 
Warum ist es entscheidend, ein Verständnis der Risiken zu haben? 

Becze:
Risiken sind in der Regel die Ursache für Unsicherheiten in den Produktentwicklungsplänen und sind der    Hauptgrund für Überschreitungen des Engineering-Budgets. Die Minderung der technischen Risiken hilft dabei, die Entwicklungsstrategie und die nachgelagerten Notfallpläne zu erstellen und zu verstehen. Es mag Ihnen so vorkommen, als würden Sie kostbare Zeit und Mühe verschwenden, aber auf lange Sicht spart man dabei immer. Denn was Sie nicht wissen, wird Ihnen auf lange Sicht schaden. Erkennen Sie also frühzeitig Ihre Schwachstellen und planen Sie gut.

Wenn Start-ups ein Konzept entwickeln und dann das Glück haben, Investoren zu finden, wird das Konzept in der Regel überbewertet und eine Strategie zur Minderung der technischen Risiken vernachlässigt. Nimmt man aber eine solche Strategie in den Plan auf, demonstriert dies Fähigkeit und Weitsicht, was von Investoren und dem Management geschätzt wird.

Warner:
Ed, ich weiß, dass Sie mit vielen Technologie-Startups zusammengearbeitet haben. Wie gehen die meisten Startups bei der Entwicklung vor und warum scheitern so viele?

Becze:
Die meisten Startups machen das, was wir "Development by Demo" nennen, und bei dieser Vorgehensweise wird sehr wenig Aufwand in die Vorabanforderungen gesteckt. Designänderungen während der Prototypenphase sind durchaus üblich, da immer wieder Feedback von Investoren, Fokusgruppen und dergleichen eingeholt wird. Es werden viele Meinungen und Vorschläge vorgebracht, die meist nicht auf handfesten Informationen beruhen und die kaskadierende Wirkung auf das Design (Software oder Hardware) außer Acht lassen. Deshalb wird auf solche Meinungen und Vorschläge nur selten im Detail eingegangen. Wenn man aber eine sachkundige Person mit Erfahrung im Team hat, dann kann man das Problem einer ausufernden Funktionalität ("Feature Creep") bereits in den ersten Gesprächen sehr leicht entschärfen.  

Darüber hinaus unterliegen alle Projekte einem festen Zeitplan, und wenn es darauf ankommt, einen Termin einzuhalten, muss irgendwo Zeit gespart werden - oft wird dann die Validierungs- und Testphase gekürzt, die aber absolut kritisch ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Startups oft keine gründliche Risikobewertung erstellen, weil ihnen die Erfahrung beim Design auf Systemebene fehlt.  

Was das Elektronikdesign betrifft, so glauben die meisten Unternehmen, dass sie eine gute (oder großartige) EE haben und die komplette Lösung übernehmen können. Wie qualifiziert ein Designer auch sein mag, eine begrenzte Erfahrung in der Entwicklung auf Systemebene und/oder eine begrenzte direkte Erfahrung mit dem Produkt, das der Designer entwirft, schafft einige kritische Schwachpunkte. Es ist absolut entscheidend, dass ein Designer sich eingehend mit den Details solider Designregeln befasst. Dies umfasst sowohl leistungsbezogene Regeln als auch Dinge wie IPC-Standards, mechanische und fertigungstechnische Einschränkungen, Test- und regulatorische Regeln, die alle eine entscheidende Rolle im Lebenszyklus der Produktentwicklung spielen. Je mehr Erfahrung man gewinnt, desto mehr entwickelt man ein intuitives Gespür für sehr gute und nützliche Richtlinien, die zu befolgen sind; dieses Gespür lässt sich nur durch eine wiederholte Anwendung im Laufe der Zeit entwickeln. 

Ich bin mir sicher, dass Ihre Zuhörer die Tatsache bestätigen werden, dass man zwar problemlos Datenblätter und Hinweise finden kann, aber nur 5 % der Chipsatzanbieter adäquate Designregeln vorgeben, die man befolgen sollte. Ohne solche Vorgaben sind Sie leider auf sich allein gestellt und können entweder durch Ausprobieren lernen oder müssen jemanden finden, der Ihnen hilft, Ihr Ziel zu erreichen. Das ist die Feuerprobe, und wenn die Dinge gut laufen, ist die Sache sehr aufschlussreich.  

Nehmen wir jedoch an, es gab Probleme mit Ihrem ursprünglichen Design und das Problem wurde selbst durch eine Überarbeitung nicht gelöst.  Wenn Sie ausreichende Erfahrung haben, können Sie per Fehlerbaumanalyse die genaue Lösung des Problems ermitteln. Erinnern Sie sich, wie ich darüber gesprochen habe, dass eine frühzeitige Einbindung von Lieferanten entscheidend ist?  Mit dieser Einbindung können Sie sehen, ob das Unternehmen solide Fertigungspraktiken anwendet, um sicherzustellen, dass Ihre Hardware gemäß der Designabsicht hergestellt wird, und Sie erhalten eine Plattform für die Qualitätsanalyse.  

Wir haben erlebt, wie fehlerhafte Hardware bei einigen Kunden zu endlosen Problemen geführt hat. Daraufhin kamen sie zu uns und wir mussten nicht nur das Design sondern auch die Fertigungsverfahren überprüfen. Es ist wirklich traurig zu sehen, wie sehr kompetente Ingenieure bei der Suche nach Problemen beginnen, ihre eigenen Fähigkeiten in Frage zu stellen, und sie nicht wissen, ob es sich um ein Hardware- oder Design-Problem handelt, oder auch um ein Firmware-Problem. Ich denke, der Rat lautet, ein großes Unternehmen hinzuzuziehen, wenn man sich in einer Sackgasse befindet. Denn es ist wahrscheinlich, dass ein erfahrenes Unternehmen Ihnen sehr schnell helfen kann, und sei es nur, indem es Ihnen einen Lösungsansatz zeigt.
            
Warner:
Sie sprechen darüber, wie wichtig es ist, sich bereits im Vorfeld eines Projekts mit Anbietern und Fertigern in Verbindung zu setzen, bevor Designentscheidungen getroffen wurden, und sich über deren Fähigkeiten und die Vertragsvereinbarungen im Klaren zu sein. Worin liegt der Wert dieser Art von Klarheit im Vorfeld?

Becze:
Eine frühzeitige Einbindung von Anbietern und Fertigern hilft Ihnen, deren Fähigkeiten vollständig zu verstehen und Ihre Designentscheidungen so zu treffen, dass sie mit deren Fähigkeiten und Prozessen übereinstimmen. Es ist extrem wichtig zu wissen, ob die Anbieter und Fertiger über Test- und Validierungssysteme verfügen - beispielsweise sind HF-Testlösungen sehr teuer. 

Es ist auch wichtig zu wissen, ob sie Offshore-Kapazitäten haben, mit denen die Kosten gesenkt werden können, insbesondere wenn Sie mit der Produktion beginnen. Können sie Ihnen sowohl bei Prototypenläufen als auch bei der Produktion Unterstützung bieten? Können sie Ihnen bei der Entwicklung Ihrer elektrischen Produkte helfen und Sie auf die Übergabe vorbereiten, wenn Sie bereit sind, die Serienproduktion zu beginnen? Verfügen sie über solide und akzeptable Handhabungs-/Verarbeitungs-/Fertigungspraktiken, die ein hochwertiges Hardwareprodukt gewährleisten? Können sie Sie an andere Anbieter für Produkte auf Systemebene verweisen, wie z.  B. bevorzugte Lieferanten für mechanische Komponenten? 

Viele Startups verfügen über eine sehr schwache Betriebsführung und benötigen in diesem Bereich zusätzliche Unterstützung. Allerdings ist es sehr schwierig, fähige Anbieter zu finden, und da ist es dann hilfreich, wenn Sie Ihr CM- oder EMS-Unternehmen an die richtige Stelle verweisen kann. Es geht vor allem darum, ein Netzwerk der Unterstützung aufzubauen. Darüber sollten Sie beim Übergang in die Serienproduktion wissen, ob Sie eine Kaufpreisabweichung nutzen können. Wie sieht es mit Offshore-Support aus? Können sie Ihnen auch Feedback zur Qualität geben und Verbesserungen vorschlagen?  Die Auswahl des Anbieters ist absolut kritisch und muss sehr gut überlegt sein.

Warner: 
Die Engpässe bei den Komponenten haben gezeigt, wie wichtig es ist, starke Partner in der Lieferkette zu haben und über gute Lieferketteninformationen zu verfügen. Warum ist dieser Punkt so kritisch, auch in Zeiten, in denen es keine Engpässe gibt?

Becze:
Gute Partner in der Lieferkette helfen Ihnen bei konkreten Fragen und gegebenenfalls auch bei Architekturfragen, wenn es mit der Erfüllung der Produktanforderungen nicht klappt. Nehmen Sie zum Beispiel Tasten; diese werfen sehr komplexe Designfragen auf und erfordern eine starke Unterstützung. Informationen über angeschlossene Module können ein entscheidender Faktor für Ihre Kostenbasis und das Angebot von FW-Supportlösungen sein. 

Das Wissen um neu erscheinende Technologien kann Innovationen hervorbringen und Ihnen helfen, schneller einzigartige Lösungen auf den Markt zu bringen (z. B. haben wir ein BLE-5-Mesh-Produkt mit einem funktionierenden Prototyp acht Tage vor der Ankündigung auf der CES entwickelt). Die Chancen stehen gut, dass die großen Anbieter eine riesige Palette für Sie nutzbarer Produkte haben und Ihnen mit professionellen Lösungen helfen werden.  Ich rate jedem Hörer dringend, dem Impuls zu widerstehen, auf AliBaba und dergleichen nach Teilen zu suchen. Dieser Weg führt fast immer zu GROSSEN Schwierigkeiten.

Warner:
Sie haben einige dieser Punkte bereits angesprochen, aber welche Nachteile entstehen Ihrer Meinung nach durch ein  nicht  durchdachtes Design?

Becze:
Wie viel Zeit haben Sie, Judy? (lacht) 

Nun, hier ist ein kurzer Überblick:

  • Böse Überraschungen aufgrund unvorhergesehener Kosten, die durch fehlende Sichtbarkeit für andere nachgelagerte Beteiligte entstehen, und fehlende Klarheit über die wahren Gesamtkosten für die Herstellung. 
  • Notwendige, aber ungeplante Inline-Tests können ebenfalls erhebliche Probleme verursachen. 
  • Wenn Sie Ihr Design nicht für Tests vorbereiten, hat das offensichtliche Auswirkungen auf die Kosten und die Zeit für die Fehlerbehebung, und zudem ist es eine wirklich schlechte Praxis. 
  • Die Markteinführungszeit wird dadurch negativ beeinflusst. 
  • Erhöhte oder überhöhte Fertigungskosten aufgrund von schlechtem DFA oder DFM.
  • Fehlende Planung der Kosten für Transport und Palettierung.
  • In manchen Situationen ist es erforderlich, kostenintensive Prozesse und Designmerkmale erst zu einem späteren Zeitpunkt der Produkt- oder Geschäftsreife zu berücksichtigen, aber dies ist eine unternehmerische Entscheidung, die mit Bedacht getroffen werden muss.

Warner:
Ed, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Ihre hart erarbeiteten Weisheiten mit unseren Lesern zu teilen. 

Becze:
Es hat mich gefreut, Judy. Ich freue mich immer, wenn ich meine Erkenntnisse mit anderen Ingenieure teilen kann, die versuchen, sich in dieser komplexen Landschaft des Hardware-Designs zurechtzufinden. Hoffentlich erspare ich Ihren Lesern damit ein paar Fehltritte bei zukünftigen Projekten!

Über den Autor / über die Autorin

Über den Autor / über die Autorin

Judy Warner ist seit über 25 Jahren in einer einzigartigen Vielfalt von Rollen in der Elektronikindustrie tätig. Sie verfügt über einen Hintergrund in der Leiterplattenherstellung, Hochfrequenz- und Mikrowellen-Leiterplatten, sowie in der Auftragsfertigung mit Schwerpunkt auf Militär-, Luft- & Raumfahrt-Anwendungen.

Darüber hinaus war sie als Autorin, Bloggerin und Journalistin für verschiedene Branchenpublikationen wie Microwave Journal, PCB007 Magazine, PCB Design007, PCD&F und IEEE Microwave Magazine tätig und ist ein aktives Vorstandsmitglied der PCEA (Printed Circuit Engineering Association). Im Jahr 2017 kam Warner als Director of Community Engagement zu Altium. Neben der Veranstaltung des OnTrack-Podcasts und der Erstellung des OnTrack-Newsletters rief sie die jährliche Altium-Anwenderkonferenz AltiumLive ins Leben. Warners Leidenschaft ist es, Ressourcen, Unterstützung und Fürsprecher für PCB Design Engineers weltweit bereitzustellen.

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