Judy Warner: Robbert, bitte erzählen Sie uns etwas über Ihr Hauptfach an der Technischen Universität Delft und Ihre Rolle bei Project March.
Robbert de Lange: Ich studiere Bauingenieurwissenschaften und bin beim Project March für Beschaffung und PR zuständig. Zurzeit habe ich mir ein Jahr vom Studium freigenommen, um mich voll und ganz auf das Projekt konzentrieren zu können.
Warner: Was hat Sie dazu motiviert, ein ganzes Jahr mit Ihrem Studium zu pausieren, um Ihre Zeit in das Projekt zu investieren?
De Lange: Über all das an der Universität erworbene akademische Wissen und die Disziplin hinaus möchte ich dieses Jahr für die persönliche Entwicklung meiner sozialen Kompetenzen, wie den Umgang mit Menschen und der Interaktion mit unseren Sponsoren und den Medien, nutzen — aber vor allem habe ich wirklich Freude daran, Menschen zu helfen. In diesem Jahr werde ich mich voll darauf konzentrieren, Menschen mit Behinderungen zu unterstützen.
Wir sind nur eines von elf Dream-Teams an der TU Delft und wir teilen uns alle eine Einrichtung mit dem Namen Dream Hall, wo wir an unseren Projekten arbeiten können. Alle anderen Teams arbeiten an einer Art Fahrzeug. Project March ist das einzige Team, das ein Exoskelett kreiert, damit Querschnittsgelähmte wieder aufstehen und gehen können und ihre volle Beweglichkeit zurückerlangen.
Project March „Pilot“ Ruben de Sain beim Cybathlon
Warner: Wie wurde dieses Team ins Leben gerufen und wie kam es zu der Idee, ein Exoskelett zu entwerfen und bauen?
De Lange: Project March wurde vor etwa zweieinhalb Jahren von Eiso Vaandrager gegründet, der Studenten aussuchte, die sich für diese Arbeit engagierten und begeisterten. Er legte die Aufgaben und Teams fest und rekrutierte die Studenten.
Warner: Warum denken Sie, dass es ein gutes Projekt für Studenten ist, da ja schon mehrere kommerzielle Unternehmen diese Technologie verfolgen?
De Lange: Wir Studenten befassen uns mit Forschung und Entwicklung, damit wir schnell Innovationen schaffen können. Wir können ein Exoskelett pro Jahr bauen, weil wir eben kein Unternehmen mit kommerziellen Anforderungen und Vorgaben sind. Allerdings brauchen wir Partner, um jedes Jahr ein neues Exoskelett realisieren zu können, was erst durch deren Großzügigkeit und Unterstützung möglich wird.
Ruben de Sain steuert durch die Balance-Aufgabe
Studenten sind außerdem sehr engagiert! Von den 22 Mitgliedern unseres Teams pausieren 19 für ein Jahr vom Studium, um in Vollzeit in der Dream Hall arbeiten zu können. Wir sind ein technisches Team und wollten damit unsere Ausbildung auch durch praktische Fähigkeiten ergänzen. Wir haben einige Leute im Team, für die dieses Projekt eine sehr persönliche Bedeutung hat, weil sie querschnittsgelähmte Familienmitglieder haben.
Warner: Haben kommerzielle Firmen schon versucht, die von Ihrem Team entwickelte Technologie zu erwerben?
De Lange: Es gab einige Firmen, die uns dabei helfen wollten, kommerziell zu werden — das haben wir aber höflich abgelehnt. Wir haben uns entschieden, mindestens fünf Jahre oder länger bei Forschung und Entwicklung auf studentischem Niveau zu bleiben.
Da wir ein junges Team sind, wollen wir über die Grenzen eines kommerziellen Unternehmens hinaus noch viele Innovationen schaffen. Wir fordern auch kommerzielle Unternehmen heraus, durch den Einsatz der klugen Köpfe und neuen Ideen von Studenten höhere Ziele zu erreichen.
Warner: Ich habe erfahren, dass Ihr Team an einem Wettbewerb teilnimmt. Können Sie uns bitte mehr darüber erzählen?
Stolze Studenten vom Project March jubeln ihrem Piloten Ruben zu
De Lange: Ja, wir haben am Ende des Jahres einen Wettbewerb namens Cybathlon, eine Art bionische paralympische Spiele. Es nehmen akademische und kommerzielle Teams teil. Wir haben zwei Studententeams, die an der Cybathlon Experience teilgenommen haben: Project MARCH und Twiice. Cybathlon, der große Wettbewerb, wird im Jahr 2020 stattfinden. Zwischen den im Abstand von vier Jahren stattfindenden Veranstaltungen gibt es die Cybathlon Experience Veranstaltungen. Beim letzten Cybathlon im Oktober 2017 nahmen drei Exoskelett-Teams aus dem Jahr 2016 teil und wir wurden Zweiter — vor dem kommerziellen Team ReWalk.
Warner: Was sind Ihre Hauptziele beim Entwurfsbeginn für ein neues Exoskelett und wie beeinflusst der Bauablauf die Vorbereitung auf den Wettkampf?
De Lange: Unsere Vision ist es, Menschen mit einer Rückenmarksverletzung zur Erhöhung ihrer Lebensqualität die volle Beweglichkeit zurückzugeben. Was den Wettbewerb betrifft, so wählen wir jedes Jahr eine Person als unseren „Piloten“ aus, der das Exoskelett trägt und bewegt.
Die Piloten nehmen nicht nur am Wettkampf teil, sie gestalten auch unsere Designentscheidungen mit und inspirieren sie. Unser aktueller Pilot ist Sjaan Quirijns, eine leistungsstarke Behindertensportlerin, die jeden Monat zum Project March kommt und uns ihr Feedback zu unseren Entwürfen gibt.
Exoskelett in sitzender Haltung
Im August 2017 begannen wir mit dem Brainstorming für unser neues Design und fragten uns, was wir in einem Jahr erreichen, und auch, was wir in Zukunft schaffen können. Danach fingen wir mit dem Design an, gefolgt von der Fertigung. Als nächstes kam die Montage, bei der wir alle Unterbaugruppen zusammengebaut haben. Anschließend haben wir das ganze Exoskelett zusammengesetzt.
Bis Mitte Mai werden wir den endgültigen Aufbau fertigstellen, danach kommen Tests und Fehlerbehebung. Wir werden einen Lauftest ohne Bodenberührung durchführen, bei dem wir das Exoskelett aufhängen und es kontinuierlich laufen lassen. Wir testen es anschließend an einer Person ohne Rückenmarksverletzung, um sicherzustellen, dass es richtig funktioniert und eine gute Gangart ermöglicht. Schließlich werden wir drei Monate lang mit unserer Pilotin Sjaan trainieren. Während dieser Zeit wird es viel Debugging und Lauftraining für Sjaan geben.
Die Cybathlon Experience findet Ende September in Düsseldorf auf der Rehacare statt. Unternehmen der Gesundheitsbranche stellen dort Hilfsmittel und -geräte aus.
Warner: Wie viele Mitglieder hat die Untergruppe Elektronik und wie viele Leiterplatten wurden im Exoskelett verbaut?
De Lange: Wir haben drei Mitglieder im Elektronikteam. Leiterplatten befinden sich im Rucksack, an den Knochen, Hüften, Knöcheln und Kniegelenken. Es sind insgesamt dreißig Stück.
Warner: Woraus besteht der Rahmen?
De Lange: Der Rahmen besteht aus Aluminium, ebenso die Gelenke, damit sie leicht und stabil sind. Die Abdeckungen für die Gelenke sind mit einem 3D-Drucker hergestellte Kunststoffteile, ebenso wie die Stützeinrichtung für den Oberkörper.
Exoskelett in stehender Haltung
Warner: Wie finden Sie die Piloten?
De Lange: Wir stehen in Verbindung mit einer Klinik, die Menschen mit Querschnittslähmung hilft. Ein ReWalk-Exoskelett ist dort vorhanden und die Leute benutzen es zum Trainieren. Aufrechtes Gehen hat viele positive gesundheitliche Auswirkungen.
Unsere Piloten müssen körperlich und mental stark und auf viele Höhen und Tiefen vorbereitet sein. Der Beitrag unserer Piloten hat uns wirklich dabei geholfen, die Technologie als Ganzes voranzutreiben. Sjaan rudert seit Jahren, nimmt im Rollstuhl an Marathons teil, ist auf viele andere Arten körperlich aktiv und hilft uns sehr gerne.
Warner: Und zu guter Letzt, Robbert, können Sie uns sagen, was Sie dem neuen Exoskelett dieses Jahr hinzugefügt haben?
De Lange: Wegen Sjaans Verletzung im unteren Rücken haben wir Stützen zur Stabilisierung ihres Oberkörper hinzugefügt. Durch das Hinzufügen einiger Stützpunkte gibt es nun auch einen Steißbeinschutz. Die Sprunggelenke können sich jetzt aktiv und frei bewegen, was Gleichgewicht und Laufmuster verbessert.
Es gibt auch eine variable Schrittgröße beim Gehen und ein neues Eingabegerät in den Krücken (nicht als Uhren wie bei kommerziellen Unternehmen). Wir fanden es nicht sinnvoll, dass der Pilot beim Gehen an sein Handgelenk greifen muss.
Robbert De Lange, zuständig für Beschaffung und PR beim Project March
Warner: Wir von Altium sind alle so stolz, die beeindruckende Arbeit Ihres Teams bei Project March unterstützen zu können. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns und unseren Lesern detailliert davon zu berichten!
De Lange: Danke, Judy. Es war mir ein Vergnügen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!