Wie das Gibbs-Phänomen Messprobleme erzeugt

Zachariah Peterson
|  Erstellt: Oktober 24, 2021
Wie das Gibbs-Phänomen Messprobleme erzeugt

Schaltungs-, Signalsimulationen und Impulsantwortberechnungen basieren oft auf idealisierte Bedingungen, in der die Bandbreiten nicht begrenzt sind oder bestimmte Phänomene, wie etwa bei realen Messungen auftreten, nicht zu beobachten sind. Leider sind reale Leitungsverbindungen – und Messungen daran – bandbegrenzt, was den Anschein eines Signalintegritätsproblems erwecken kann, wie z. B. Ground Bounce, Reflexionswellen oder Resonanzen in kurzen Verbindungsleitungen.

Ein wichtiges Phänomen ist das sogenannte „Gibbsche Klingeln (Ringing)“, das bereits in den 1840er-Jahren beschrieben wurde. Dieses Phänomen tritt in Form von Überschwingungen bei Messungen eines elektrischen Signals oder bei der Antwort im Zeitbereich auf, die aus bandbegrenzten Messungen im Frequenzbereich berechnet werden. Gibbs-Ringing ist nicht nur in der Elektronikentwicklung und bei Verbindungsleitungen ein Thema, sondern auch ein bekanntes Problem in der Bildgebung (MRT, Tomografie und Fourier-Optik). Wenn Sie jemals ein JPEG-Bild niedriger Qualität betrachtet haben, das mehrere Komprimierungsschritte durchlaufen hat, dann erkennen Sie an den fleckigen Pixeln um scharfe Kanten herum das Gibbs-Ringing.

Einige hoch entwickelte KI-basierte Signalverarbeitungsmethoden wurden speziell entwickelt, um Gibbs-Ringing aus Signalmessungen und -transformationen zu entfernen, doch als Leiterplattendesigner müssen Sie solche extremen Maßnahmen nicht anwenden. Das Phänomen tritt meist in zwei Situationen auf:

  • Durchführung von bandbegrenzten Messungen an einer Übertragungsleitung oder HF-Verbindung
  • Berechnung einer Zeitbereichsantwort aus bandbegrenzten Netzparametern

In diesem Artikel befassen wir uns mit dem ersten Punkt, um zu sehen, wo man durch die Beachtung des Gibbs-Phänomens genauere Messungen durchführen kann.

Gibbs-Phänomen und Klingeln bei Oszilloskop-Messungen

Betrachtet man das Signal an einem Oszilloskop-Tastkopf, kann man ein Überschwingen an der steigenden Flanke und möglicherweise vor der fallenden Flanke des auf dem Bildschirm angezeigten Signals sehen. Dafür gibt es mehrere Gründe, auf die ich gleich noch eingehen werde. Beim Testen einer Leiterplatte ist es das Ziel des Entwicklers, ein Messphenomän von einem echten Signalintegritätsproblem, sei es in einer Verbindungsleitung oder einem schlecht kompensierten Messfühler, zu unterscheiden.

Hier ist ein Beispiel dafür, was Sie mit einem Oszilloskop messen könnten. Die Vorderflanke des Signals weist ein gewisses Überschwingen auf:

Gibbs in Fourier-Reihen
Beispiel für Überschwingen („Klingeln“) an der ansteigenden und abfallenden Flanke einer Rechteckimpulsfolge, die bis zur 7. Ordnung mit einer Fourier-Reihe berechnet wurde.

Das obige Diagramm zeigt ein drastisches Beispiel dafür, was bei einer Messung im Zeitbereich gemessen werden könnte. Dieses Überschwingen an der ansteigenden und abfallenden Flanke ist das Gibbs-Phänomen (oder „Gibbs-Klingeln“), das auftritt, weil wir im obigen Beispiel nur bis zur 7. Harmonischen der Grundfrequenz summiert haben. In dem obigen Fall gibt es ansonsten keinerlei Probleme mit der Signalintegrität. Würden wir die Frequenzen der obigen Rechteckschwingung bis zur theoretischen Grenze von unendlich aufsummieren, würden Sie dieses nicht sehen. Dies gibt uns einen wichtigen Hinweis: Die Messanordnung schneidet einige Harmonische in der Fourier-Reihe des Rechtecksignals ab. Daneben könnte es Signalintegritätsprobleme geben, die bei einer realen Messung ein Klingeln verursacht, aber durch das Gibbs-Klingeln überlagert werden.

Das interessanteste Merkmal im obigen Bild ist die ansteigende, unterdämpfte Schwingung, die vor dem Signalwechsel zu sehen ist! Das würde bedeuten, dass das Signal den Übergang vorwegnehmen müsste, was physikalisch unmöglich ist. Das Gibbs-Phänomen ist also nicht etwas, das real in einem bandbegrenzten Kanal auftritt, sondern ein mathematisches Problem, das leicht mit einem realen Effekt verwechselt bzw. diesen verdecken könnte.

Messung vs. Wirklichkeit

Das folgende Diagramm vergleicht ein in eine Übertragungsleitung eingespeistes Signal mit dessen idealer Antwort. Die Übertragungsleitung verändert das eingespeiste Signal leicht und glättet es aufgrund der Leitungs- und Lastkapazitäten. Allerdings kann das gemessene Signal immer noch ein Überschwingen aufweisen, das nicht wirklich auf der Übertragungsleitung auftritt. Im Allgemeinen diskutieren wir dies beim Leiterplattendesign nicht, da es bei abtastenden Geräten auftritt und nicht auf ein bestimmtes Leiterplattenelement zurückzuführen ist. Für einen Prüfingenieur oder SI-Ingenieur ist es jedoch wichtig zu verstehen, wodurch dies verursacht werden kann und um festzustellen, ob es sich um ein echtes Problem handelt.

„Antwort der Übertragungsleitung
Eingangssignal auf einer Übertragungsleitung und ideale Antwort bzw. etwaige auf einem Oszilloskop gemessene Antwort.

Wenn Sie ein Signal präzise vermessen wollen, müssen Sie Gibbs-Ringing vermeiden. Wie lässt sich das bewerkstelligen? Klar ist: Es lässt sich nicht wegfiltern – im Gegenteil, es ist durch das Filtern verursacht worden. Im Allgemeinen denken wir bei einer Übertragungsleitung an eine kurze Verbindungsleitung oder an einen Testpunkt, der mit einer dieser Leitungen verbunden ist. Unabhängig davon, wie ein Signal von einem Treiber zu einer Last übertragen wird, ist es möglich, dass das oben beschriebene Überschwingen bei einer Signalmessung auftritt. Einige der Gründe, warum Gibbs-Ringing bei einer Messung auftreten kann, sind:

Genauso wie Messungen ein Signal verändern und ein Klingeln hervorrufen können, wird auch der Versuch, die Reaktion eines Schaltkreises auf bestimmte Eingangssignale mithilfe von Modellparametern zu simulieren, ein scheinbares Schwingen hervorrufen. Hier ist es wichtig, die Bandbreite Ihres Signals mit den Bandbreitengrenzen einer Schaltung und Ihren Modellparametern abzustimmen. Um zu sehen, wie das funktioniert, schauen wir uns zunächst die Messungen im Zeitbereich an.

Bandbreite beeinflusst die Messungen im Zeitbereich

Es handelt sich hierbei eindeutig um ein Bandbreitenproblem. Sie müssen die Übertragungsbandbreite Ihres Geräts berücksichtigen, wenn Sie ein Zeitsignal mit einem Oszilloskop messen. Dazu ist es wichtig zu verstehen, wie ein Oszilloskop oder ein anderes abtastendes Messinstrument funktioniert. Analoge Oszilloskope summieren Frequenzkomponenten aus dem Eingang auf; sie arbeiten nicht wie ein A/D-Wandler. Digitaloszilloskope hingegen verwenden einen A/D-Wandler mit hoher Abtastrate, wobei die besten bei Abtastraten von über 100 Gigasamples pro Sekunde liegen. In jedem Fall ist die Funktionsweise des Eingangs ausschlaggebend dafür, welche Artefakte bei der Messung auftreten:

  • Analoges Oszilloskop: Die Eingangsfilterung und die Digital Signal Processor (DSP)-Stufen erzeugen ein Schwingen, indem sie hochfrequente Teile des Frequenzgehalts des Eingangssignals abschneiden.
  • Digitales Oszilloskop: Diese Oszilloskope verwenden Interpolation, um ein Signal zu rekonstruieren. Die Interpolation in der DSP-Stufe führt zu Gibbs-Ringing.

In beiden Fällen wird die Abtastschaltung am Eingang eines Oszilloskops i. d. R. als ein Filter höherer Ordnung modelliert. Dies ist nicht die Art und Weise, wie ein echter digitaler oder analoger Empfänger funktionieren würde, aber es ist ein nützliches konzeptionelles Modell, da es hilft, die Bandbreitenbegrenzung bei einer echten Messung zu erklären. Die folgende Abbildung zeigt einen Vergleich der Butterworth-Filterkurven erster und höherer Ordnung, die das bei einer typischen Kanalmessung auftretende Klingeln erzeugen können.

Übertragungsfunktion eines Tiefpassfilters
Übertragungsfunktionen für Butterworth-Filter (RC-Tiefpassfilter).

Nur der Filter erster Ordnung erzeugt kein Klingeln. Alle Filter höherer Ordnung erzeugen bei einer Messung ein Überschwingen, wenn ihre Bandbreite zu nahe am Signalanstiegszeit-Bandbreitenprodukt eines digitalen Signals liegt. Im Allgemeinen sollten Sie eine Systembandbreite wählen, die mindestens so groß ist wie die Signalbandbreite, wenn Sie eine Gaußsche Näherung für die Eingangsfilterstufe des Oszilloskops verwenden:

Systembandbreiten-Gleichung
Anforderungen an die Systembandbreite und die minimale Systembandbreite, die erforderlich ist, um die Anstiegszeit eines digitalen Signals zu messen, bevor es sich auf einer Verbindungsleitung ausbreitet.

Hier haben wir die Bandbreite des Tiefpasses auf den Kehrwert der Anstiegszeit des zu messenden digitalen Signals eingestellt, was reichlich Spielraum für Ihre Messung bietet. Beachten Sie, dass bei einem Filter erster Ordnung die Signalbandbreite 0,35 geteilt durch die Anstiegszeit (die sogenannte Kniefrequenz) beträgt, während Filter höherer Ordnung andere Werte im Zähler haben. Als Faustregel gilt, dass die Bandbreite Ihres Oszilloskops doppelt so groß sein sollte wie die Signalbandbreite für die gegebene Filterordnung an Ihrem Eingang des Oszilloskops, aber wenn Sie den Zähler auf 1 setzen, erhalten Sie etwa die 3-fache Bandbreite.

Physikalisch mögliche Ursachen für das Überschwingen

Wenn die Messsonde und die Messeinrichtung über eine ausreichende Bandbreite verfügen und trotzdem ein Klingeln zu beobachten ist, könnte dies auf folgende Ursachen zurückzuführen sein

  • Parasitäre Induktivität in der Elektrode, der Prüfvorrichtung oder der Verbindung der Elektrode mit der Leiterplatte, die eine bestimmte Periodendauer hat. Durch Verschieben der Sonde kann diese Schwingungsfrequenz verändert werden.
  • Ground Bounce aufgrund der Induktivität zurück zur Grundplatte. Diese wird ausschließlich durch die Kanalauslegung bestimmt und erzeugt ein Klingeln mit einer bestimmten Schwingungsfrequenz.
  • Reflexionen, selbst in perfekt aufeinander abgestimmten Leitungen. In Bereichen mit hoher Kanalbandbreite tritt dies aufgrund der Lastkapazität auf, die ebenfalls eine Bandbreitenbegrenzung im Kanal verursacht.
  • Extreme parasitäre Störungen oder unbeabsichtigte positive Rückkopplungen entlang der Übertragungsleitung, wie z. B. in HF-Leistungssystemen mit passiver oder aktiver Verstärkung.

Was passiert auf realen Verbindungsleitungen?

Nachdem wir nun diese wichtigen Aspekte des Gibbs-Ringings bei Messungen im Zeitbereich betrachtet haben, müssen wir uns fragen: Was passiert eigentlich auf einer Verbindungsleitung? Tritt dieses Klingeln im Sinne der Bandbegrenzung tatsächlich auf, wenn sich das Signal auf einer Verbindungsleitung ausbreitet und eine Lastkomponente erreicht?

Die Energieübertragung entlang einer Leitung erzeugt kein echtes Gibbs-Ringing, da Gibbs-Ringing nicht kausal ist. Schauen Sie sich einfach das erste Diagramm oben an, und Sie werden sehen, dass das bei einem Signalübergang erzeugte transiente Klingeln vor einer fallenden oder steigenden Flanke auftritt. Wir können auch sehen, was passiert, wenn wir uns ein Ersatzschaltbild einer Verbindungsleitung ansehen. Echte Leitungen sind bandbreitenbegrenzt und können anhand des folgenden Schaltplans untersucht werden:

Eingangskapazität der Übertragungsleitung
Ersatzschaltbild, das eine Lastkapazität und einen Abschlusswiderstand enthält.

Die obige Schaltung mit Berücksichtigung der Lastkapazität lässt erwarten, dass alle Übertragungsleitungen mit einem Filter erster Ordnung (dem Eingang des Empfängers) verbunden sind, der kein Gibbs-Ringing erzeugt. Diese Annahme ist leider falsch, wenn man schlicht davon ausgeht, dass alle Übertragungsleitungen den charakteristischen Wellenwiderstand von 50 Ohm haben. Die Faktoren, die bestimmen, ob Gibbs-Ringing an der Last auftritt, sind:

Infolgedessen ist die Übertragungsfunktion einer realen Übertragungsleitung annähernd von ungeradzahliger Ordnung, nicht von erster Ordnung, und hängt in erster Linie von der Dispersion und der Rauheit der Leitungsverbindung ab. Auf diesem Gebiet bin ich aktiv an der Forschung und Modellierung sowie an der Parameterextraktion aus Messungen beteiligt. Dies alles bedeutet, dass eine bandbreitenbegrenzte Messung, selbst mit einer Übertragungsleitung ungerader Ordnung, immer noch genügend Bandbreitenreserven im Oszilloskop erfordert.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gibbs-Ringing ausschließlich ein Phänomen Ihres Messgeräts und der Fourier-/Laplace-Transformation von bandbegrenzten Netzparametern ist. Mit den obigen Erläuterungen zu Signalverhalten, Übertragungsfunktionen und der Funktionsweise von Oszilloskopen haben Sie hoffentlich das nötige Rüstzeug, um die benötigte Oszilloskop-Bandbreite auszuwählen (entweder 3-dB-Grenze oder Nyquist-Frequenz). Zusammenfassend kommen wir zu den folgenden wichtigen Schlussfolgerungen:

  • Das Gibbs-Phänomen tritt im Zeitbereich aufgrund der Bandbegrenzung in Filtern höherer Ordnung auf.
  • Sind mehr hochfrequente Oberschwingungen im rekonstruierten Zeitsignal vorhanden, hat das Gibbs-Ringing eine geringere Amplitude und klingt schneller ab.
  • Gibbs-Ringing kann reduziert werden, wenn die Bandbreite des Eingangsfilters/der DSP-Stufe des Oszilloskops groß genug ist, denn
  • Ein schnelleres Signal (kürzere Anstiegszeit) hat eine höhere Energiedichte bei höheren Frequenzen, sodass eine Messung mehr Bandbreite erfordert, um mehr Harmonische höherer Ordnung zu erfassen und das Signal mit unterdrücktem Gibbs-Ringing aufzulösen

In einem der nächsten Artikel werde ich dies aus der entsprechenden Perspektive des Frequenzbereichs betrachten, wo wir eine Kanalantwort auf ein bestimmtes Eingangssignal vorhersagen und feststellen wollen, ob ein in einer Simulation beobachtetes Überschwingen real oder ein Gibbs-Klingeln ist.

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Über den Autor / über die Autorin

Über den Autor / über die Autorin

Zachariah Peterson verfügt über einen umfassenden technischen Hintergrund in Wissenschaft und Industrie. Vor seiner Tätigkeit in der Leiterplattenindustrie unterrichtete er an der Portland State University. Er leitete seinen Physik M.S. Forschung zu chemisorptiven Gassensoren und sein Ph.D. Forschung zu Theorie und Stabilität von Zufallslasern. Sein Hintergrund in der wissenschaftlichen Forschung umfasst Themen wie Nanopartikellaser, elektronische und optoelektronische Halbleiterbauelemente, Umweltsysteme und Finanzanalysen. Seine Arbeiten wurden in mehreren Fachzeitschriften und Konferenzberichten veröffentlicht und er hat Hunderte von technischen Blogs zum Thema PCB-Design für eine Reihe von Unternehmen verfasst. Zachariah arbeitet mit anderen Unternehmen der Leiterplattenindustrie zusammen und bietet Design- und Forschungsdienstleistungen an. Er ist Mitglied der IEEE Photonics Society und der American Physical Society.

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